Affe, Banane und Vairagya

Vairagya

Bear Heart, ein indianischer Heiler, schildert in seinem Buch „Der Wind ist meine Mutter“ den Bericht eines südafrikanischen Medizinmannes vom Trick zum Einfangen eines Affen. Man müsse einfach eine Banane durch ein schmales Loch in einen ausgehöhlten Kürbis stecken. Ein vorbeikommender Affe würde die Banane riechen, die Banane im Innern des Kürbisses packen – und dann stecke er fest. Anders als der Mensch habe der Affe offenbar zu wenig Verstand, um die Banane loszulassen und dadurch frei zu kommen.

Als Menschen haben wir da zunächst gut lachen. Aber stellen Sie sich vor, wie wir uns selbst in manchen Situationen verhalten – beziehungsweise unser Geist. Setzen Sie sich einmal hin und sagen Sie sich, jetzt denke ich mal an nichts. Und wer sich selbst gegenüber nicht ganz ignorant ist, bemerkt sehr schnell, wie ein Gedanke den nächsten jagt, ohne dass wir das wirklich beabsichtigen. Unser Geist hangelt sich sozusagen von Banane zu Banane. Sie kennen vielleicht auch die Geschichte vom König, der sich in eine junge Frau verliebte. Er besorgte sich daraufhin einen Zaubertrank, der dafür sorgen sollte, dass die junge Frau sich ebenfalls in ihn verliebt. Beim gemeinsam zu arrangierenden Trunk durfte er, der König, nur nicht an Bären denken. Was meinen Sie, woran der König fast zwangsläufig beim Anblick seiner Geliebten dachte?

Wir sind damit bei einem ganz zentralen Thema des Yoga: Vairagya – Loslösung. Es gelingt den meisten Menschen im Alltag, den eigenen Geist einigermaßen auf die anstehenden Aufgaben und Tagesgeschäfte auszurichten. Wir verfügen über ein gewisses Maß an Konzentration. Von einer wirklichen Selbstbeherrschung sind wir allerdings meist noch weit entfernt. Vivekananda beschreibt im Buch Raja-Yoga jedoch Konzentration als das, worum es im Yoga eigentlich geht. Es geht um Minderung von stressbedingten Spannungen und der Sammlung auf sich selbst, samadhi.

Konzentration – Sammlung – Aufmerksamkeit

Damit dienen auch die Körperhaltungen, Atemübungen, Entspannungsformen und selbst Riten und Gebräuche anderer Disziplinen dem einen Ziel, nämlich der Steigerung von Konzentration. Nach Meinung von Yogins wie Vivekananda dient es auch dem Versuch, bewusster mit Lebenskraft umzugehen. Und der Schlüssel zur Steigerung der Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit sei es, sich von zwanghafter Gedankenaktivität zu lösen, sich von den Gedanken zeitweise auch ganz zu befreien. Und das bedeutet nichts anderes als Vairagya und führt zu dem, was wir gemeinhin Meditation nennen.

Natürlicherweise erleben wir eine solche Loslösung beim Einschlafen. Und wer es schon einmal erlebt hat, vor Aufregung nicht einschlafen zu können, kann vielleicht die Schwierigkeiten des Affen, eine einmal ergriffene Banane loszulassen, erahnen. Aber der Mensch kann lernen. Eine Möglichkeit bildet Yoga. Natürlich können wir uns auch mit Sport, Hobbys, Gymnastik oder Musik entspannen und unsere Aufmerksamkeit lenken. Im Yoga aber steckt eine Eigendynamik, die sich aus sich selbst heraus verstärken kann. Es handelt sich um eine Art Sog in das Zentrum der Atembewegung, der aber nur durch viel Übung zu erleben ist.

Diese Eigendynamik ist es, die der Yoga mit den meisten natürlichen Formen der Konzentration unseres Alltagslebens gemeinsam hat. Wodurch sich Yoga auch als möglicher übenswerter Einstieg anbietet.