Maya oder die Welt als Verschwörung
Maya und Vedanta
Michael Butter hat einen Lehrstuhl für Amerikanistik in Tübingen. Dabei beschäftigt er sich in seiner Forschung auch mit den vielen Verschwörungstheorien, die heutzutage im Umlauf sind. Als da wären: „Die Amerikaner waren nie auf dem Mond, alles nur im Studio produziert“. „Barack Obama ist Moslem und wurde nicht in den USA geboren“. Anfang der 2000er Jahre wurde in China behauptet, die Erderwärmung wäre eine Erfindung der Amerikaner, um China zu schaden. Donald Trump, der jetzige Präsident der Vereinigten Staaten, behauptete in seinem Wahlkampf, die Erderwärmung sei eine Erfindung der Chinesen, um Amerika zu schaden. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Die Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Frage, warum viele Menschen trotz gegenteiliger Faktenlage mit Verbissenheit an ihren Theorien festhalten. Soziologie und Psychologie bieten hier einige Erklärungen an. Vielleicht ist es aber auch so, dass von 100 wilden Gerüchten, die in der Welt kursieren, nur 99 falsch sind. Denn manchmal findet sich doch eine zutreffende Wahrheit im Dickicht der Spekulationen.
Atomarer Scheinangriff: Das wilde Gerücht entpuppt sich als Wahrheit
In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts kam das Gerücht auf, es hätte einen Fehlalarm bei der atomar bewaffneten Landesverteidigung der Sowjetunion gegeben. Nur der Besonnenheit eines russischen Offiziers sei es zu verdanken gewesen, dass ein atomarer Gegenschlag gegen den vermeintlichen Angriff seitens der USA nicht eingeleitet wurde. Ohne Zweifel hätte ein einmal eingeleiteter sowjetischer Gegenschlag die ganze Welt ins Verderben gestürzt.
Wir jungen Leute erzählten uns damals die Geschichte auch. Trotzdem siedelten wir das Ganze irgendwo zwischen Wildwest und Science Fiction an.
1999 stellte sich dann heraus, dass es diesen Vorfall wirklich gegeben hatte. Am 26. September 1983 hatten sowjetische Satelliten Sonnenreflexionen auf dem Territorium der USA als Raketenstarts interpretiert und einen Angriff durch Interkontinentalraketen der Amerikaner gemeldet. Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow, so berichtet der Spiegel über seine Person und Biographie, war damals Oberstleutnant der sowjetischen Luftverteidigungsstreitkräfte und diensthabender Offizier der Satellitenüberwachung. Seiner kühlen Einschätzung, dass der angebliche Angriff mit fünf Raketen der militärischen Logik eines atomaren Erstschlags widersprach, ist es wahrscheinlich zu verdanken, dass Petrow entgegen seiner Befehle handelte und der 3. Weltkrieg an diesem Tag ausblieb. Im Jahr 1999 entpuppte sich das wilde Gerücht als die zutreffende Wahrheit.
Nur der Atman ist wirklich
Aus Yogasicht dürfte ein anderer Aspekt aber noch eine größere Rolle spielen, wenn die Menschen hinter gesicherten Wahrheiten und der Realität Täuschung und Verschwörung vermuten. Im indischen Vedanta (Philosophie oder Lehre des Wissens) sind die Welt und das ganze Universum eine Illusion und entstehen aus dem Tanz der Göttin Maya. Demgegenüber gibt es nur ein Absolutes, den Atman (gleichzeitig identisch mit Brahman). Gemeint ist dabei das Unsterbliche im Menschen, das nicht an die vergängliche Welt gebunden ist. Für naturwissenschaftliche Betrachter mag sich das kurios anhören. Aber vom Standpunkt des Vedanta ist alles in der Welt Illusion und Täuschung, auch die sogenannte Realität. Alles ist nur eine Augenblickswahrnehmung einer sehr vergänglichen Welt. Vielleicht ist es bei vielen Menschen ein Rest an Ahnung von Spiritualität, wenn sie den Tatsachen der Dinge und den geprüften Fakten nicht den letzten und höchsten absoluten Rang des Seins zugestehen.
Hans Peter Dürr schreibt in seinem Buch „Geist, Kosmos, Physik“: „Die bisherigen Naturgesetze sind im Grunde falsch und, welche Überraschung, wir müssen feststellen, es gibt die Materie im Grunde nicht mehr. Es gibt letzten Endes nur noch eine Art Schwingung. Es gibt, streng genommen, keine Elektronen, es gibt keinen Atomkern, sie sind eigentlich nur Schwingungsfiguren.“ Max Planck formulierte einmal: „Es gibt keine Materie, sondern nur ein Gewebe von Energien, dem durch intelligenten Geist Form gegeben wird.“(s. www.universal-prinzip.de)
Und trotzdem: Pramana und Vikalpa (Fakten und Einbildung)
Im Yoga wird trotzdem zwischen Pramana (prüfbarer Wahrnehmung), Viparyaya (verkehrter Wahrnehmung) und Vikalpa (Einbildung) unterschieden. Diese Unterschiede werden im Alltag immer eine Rolle spielen. Aber gleichzeitig schwingt im Yoga und in den genannten Yoga-Begriffen immer auch der Hinweis mit, dass die Welt der sinnlichen Wahrnehmung etwas Illusionäres anhaftet, dem die Menschen instinktiv ein gewisses Misstrauen entgegenbringen. Das sollte keinen Grund liefern, um irgendwelchen Phantasmen nachzujagen, sondern im Gegenteil dazu führen, nach tieferen Wahrheiten zu suchen.