Indischer Körper offen ?
Welt der Dinge – unsere Baukastenwelt
Westliche, an naturwissenschaftlicher Bildung orientierte Menschen leben zunächst einmal, könnte man sagen, in einer Welt der Dinge. Unsere Welt ist nach dem Baukastenprinzip aufgebaut: Es gibt grobe Körper, z.b. Tische und Stühle, die sind aus Holz. Holz besteht aus Molekülen, Moleküle aus Atomen, Atome aus Elektronen, Neutronen und Protonen usw. Immer haben wir dabei Dinge vor Augen.
Ähnlich sehen und behandeln wir dann unseren Körper: Es ist auch ein Körper der Dinge, der Bauteile. Kein Wunder, wenn wir dann v.a. alles Physische, also alles Körperliche, auch bei eigentlich so ganz anders gearteten Methoden wie Yoga, betonen. Andere Antriebsmomente des Lebens wie Geist, Seele, Psyche oder Prana kommen da fast zwangsläufig etwas unter die Räder. Wir sollten spätestens stutzen, wenn Physiker wie Hans-Peter Dürr formulieren: „Die bisherigen Naturgesetze sind im Grunde falsch und, welche Überraschung, wir müssen feststellen, es gibt die Materie im Grunde nicht mehr. Es gibt letzten Endes nur noch eine Art Schwingung. Es gibt, streng genommen, keine Elektronen, es gibt keinen Atomkern, sie sind eigentlich nur Schwingungsfiguren.“*
Suddhir Kakar, ein indischer Psychoanalytiker, formuliert in einem Interview mit der „ZEIT“ die andere, die mehr indisch geprägte Auffassung vom Körper so: „Der indische Körper aber ist offen zu einer natürlichen, sozialen, spirituellen und kosmischen Umwelt hin. Er ist eher fließend, reagiert auf Pflanzen, Steine, Sterne und Götter.“** Das Weltbild, vor dessen Hintergurnd der Yoga vor mehreren Jahrtausenden entstand, hat eher Ähnlichkeiten mit dem Weltbild der Alchimisten früherer Jahrhunderte. Das alte Weltbild des Samkhya wie das der Alchimie kennt die Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther. Außen und Innen sind in diesem Welbild in ständigen Austausch und unterliegen ständiger Veränderung. Die Außenwelt nimmt Einfluss auf den Einzelnen, aber das, was innerlich geschieht, verändert dann auch die mich umgebende Welt.
Natürlich landet man dann ganz schnell wieder beim Prinzip der Analogien (Entsprechungen) der sogenannten hermeneutischen Lehre: Wie oben, so unten, wie innen, so außen. Was ich sehe und wahrnehme, findet sich als Idee und Möglichkeit auch in mir, und das, was ich in mir trage als Idee, könnte auch im Äußeren danach streben, sich zu verwirklichen.
Die Wissenschaft kennt die Wirkung der Überzeugungen (der Philosophie?)
Mehr als um eine neue Diskussion der hermeneutischen Philosophie möchte ich die Frage in den Raum stellen, ob sich der westliche Mensch nicht unnötig begrenzt durch seinen Glauben an die Welt der Dinge als Basis allen Seins. Götter und Dämonen mögen für westliche Menschen keine realen Kategorien sein. Aber der Glaube an solche Geister hat reale Konsequenzen. Das sollten wir registrieren. Und die moderne wissenschaftliche Medizin liefert mittlerweile eine Fülle von Forschungsarbeiten, wie sehr der Heilerfolg eines Medikaments oder einer Therapie von der Überzeugung, sich damit etwas Gutes zu tun, abhängen kann.
Wenn nun ein Physiker wie Hans-Peter Dürr unsere bisherige Ansicht von Materie als falsch bezeichnet, wenn er nicht von Teilchen, sondern lieber von“Wirks“ spricht, weil da etwas ist, das auf mich wirkt und ich dieses wirkende Etwas als Materie bezeichne, dann sollten wir fragen: Was wirkt da eigentlich? Denn Dinge, so wie wir sie sehen, sind es ja eigentlich nicht! Aber in jedem Fall ist da eine Wirkung „Stuhl“, wenn ich mich auf einen Stuhl setze: Denn ich falle ja nicht zu Boden. Wenn uns diese „Wirks“ nicht vorhandene Dichte von Materie vorgaukeln können, gibt es dann nicht auch noch andere „Wirks“, die wir nicht sehen und die trotzdem eine reale Wirkung entfalten?
Samkhya, Purusha und Prakrti
In der alten indischen Samkhya-Lehre gibt es zwei Prinzipien, Purusha und Prakrti, Mensch und Welt . Grob vereinfacht hat dabei der Mensch bzw. sein Innerstes einen eigenständigen Rang, auch ohne äußere Welt. Geist und Bewusstsein existieren auch unabhängig von Materie. Es ist eher umgekehrt so, dass die grobe Welt passend zu unserer Lebensphilosophie sich ausformt. Wenn wir die Frage nach dem Zusammenhang von physichem Körper und Bewusstsein neu stellen, wenn wir damit die Möglichkeit im Sinne der modernen Physik zulassen, dass unsere bisherigen Betrachtungen zu Materie grob vereinfachend und lange noch nicht vollständig waren, begeben wir uns auf die Suche nach eigenen Erfahrungen. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse dürfen dann durchaus Grundlage einer gesunden Skepsis sein. Wir räumen uns damit aber die Offenheit gegenüber unserem bisherigen Vorstellungen ein, die nötig ist, damit sich unser Leben aus anderen, auch nichtmateriellen Quellen erneuern kann und bisherige Grenzen sich gelegentlich auch mal verschieben dürfen.
Ob uns die Inder eine Offenheit des Körpers und damit eine Offenheit für (positive) Veränderungen voraus haben, können vielleicht nur Inder selbst wie z.B. Suddhir Kakar beurteilen. Die Frage nach Erfahrungsmöglichkeiten jenseits körperlichen Übens zu stellen, die Aufmerksamkeit auch auf andere Bereiche unserer menschlichen Existenz nicht von vorneherein auszuschließen, erweitert aber eventuell die Möglichkeiten unserer Entwicklung.
*Hans-Peter Dürr: Geist, Kosmos und Physik Crotona-Verlag
**“Die Igel der Welt“, Interview mit Suddhir Kakar,