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Yogathema 6. KW

Die Philosophin Natalie Knapp beschreibt in einem Interview der Süddeutschen Zeitung (SZ 2./3. Februar 2013 V2/10) die Schwierigkeiten, die der moderne Mensch wegen der vielen Wahlmöglichkeiten hat. Er müsse ständig besorgt sein, sich für das Falsche zu entscheiden. Natürlich werden die meisten Menschen hierzulande ungern auf ihre Freiheit und auf ihre Möglichkeiten eigenständiger Entwicklung verzichten. Andererseits stresst es vielleicht viele unter uns, sich immer wieder neu seinen Weg suchen zu müssen. Die Berufswelt fordert heutzutage immer wieder Flexibilität. Und die wirtschaftliche Lage der einzelnen Länder und Europas insgesamt scheint in ständigem Umbruch. Das Sicherheitsbedürfnis  jedes Einzelnen wird dabei immer wieder strapaziert.

Indischer Professor zu Karma

Margreth Distelbarth berichtet in ihrem Buch „108 Gespräche über Yoga und Christentum“, wie anders sie in dieser Hinsicht Professor Upadhaya aus Mumbai als Gastdozent an der Universität Tübingen erlebt hat. Auf die Frage nach der Klärung ihrer beruflichen Perspektive sagte er ganz einfach: Du bist Yogalehrerin, also unterrichte Yoga. In einer Gesellschaft, in der die Stellung sich aus der familiären Abstammung ergibt bzw. ergab (Professor Upadhaya war Brahmane), in der ist oder war weniger Platz für das Hin-und Herüberlegen und Durchdenken verschiedenster beruflicher Perspektiven. In einer ‚Gesellschaft, deren Kultur viel durch den Begriff „Karma“, also das persönlich vorgegebene Schicksal durch frühere Leben geprägt ist oder war, macht man sich vielleicht auch weniger Gedanken über grundlegende Kurskorrekturen seines Werdegangs.

Nidhidhyāsana

Nun, heutzutage ist da sicher auch in Indien vieles in Bewegung geraten. In keinem Fall will ich den Eindruck erwecken, als sollten wir da unsere Kultur ummodeln. In letzter Konsequenz widerspräche es auch dem Karma-Gedanken selbst. Es geht mir darum aufzuzeigen, wie man als Yogaübender mit Entscheidungsfindungen umgehen kann. Empfohlen wird dabei ein dreistufiges Vorgehen: sravana – manana – nidhidhyāsana. Sravana kommt von „hören“. Gemeint ist damit das Wahrnehmen und Sichten der verschiedenen Möglichkeiten, die zur Auswahl stehen. Manana stammt ab vom Wort „manas“ = Gemüt und bezeichnet intensive Erörtern von Argumenten, das Abwägen des „Für und Wider“. Alle Argumente, die für oder gegen eine Wahlmöglichkeit angeführt werden können, werden aufgelistet. Mein Yogalehrer empfahl das immer schriftlich zu tun, um dem eigenen Gemüt weniger die Chance zu lassen, Unliebsames einfach zu verdrängen. Nidhidhyāsana bedeutet, inne zu halten und mit der Frage still zu werden. Das ist der entscheidende Schritt.

Wie im Beitrag zur 5. KW schon erwähnt, ist Swami Satyananda in seinem Buch Yoga-Nidra der Meinung, dass für Eingebungen und Inspiration Entspannung der entscheidende Schritt ist. Alle Menschen, die in Kunst und Musik, Wissenschaft und Religion so genannte Eingebungen hatten, ließen laut Satyananda  einfach eine tiefe innere Entspannung zu. Etwas Vergleichbares ist auch mit Nidhidhyāsana gemeint. Yogins sind der Meinung, dass alle Menschen diese Fähigkeit potenziell in sich tragen. Ich verweise auch noch einmal auf die Aussage von Swami Vivekananda zu den drei Ebenen des Bewusstseins: Wir alle verfügen über Instinkt, Verstand und Inspiration. Und es gibt natürlich viele Wege, nicht nur einen, um sich dem zu nähern.