Yoga Themen Stuttgart KW 1-5 + KW 9

Yogathema 9. KW 2013

Im Yoga geht es ganz schlicht darum, zur Ruhe zu kommen.
S. dazu Patanjali, Yoga-Sutra I/2: Yogas citta vrtti nirodha

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Yogathema 5. KW 2013

Yoga und die Kunst des Liegens

In einem kürzlich erschienenen Buch des Autors Bernd Brunner (Bernd Brunner: Die Kunst des Liegens, Galiani Berlin, Besprechung auf kulturtips.de) wird der Verlust einer Kulturtechnik beklagt: der Kunst des Liegens. Dabei, so heißt es in der Beschreibung des Buches, verbringen wir ein Drittel unserer Lebenszeit in der Horizontalen und das brächte uns unschätzbare Momente der Kontemplation. Es scheint so, als würden die Momente der Entspannung, wie sie z. B. das bloße Herumliegen bietet, seltener zu werden. Auch aus meiner Sicht als Yogalehrer habe ich den Eindruck, dass die Menschen zunehmend Probleme haben, loszulassen und sich gelegentlich ohne schlechtes Gewissen dem Nichtstun zu überlassen – am besten eben manchmal in der Horizontalen.

Letzte Woche erlebte ich eines der seltene Gegenbeispiele. Am Hauptbahnhof Stuttgart stieg ich wie gewohnt Mittwochmorgens in den Bus, der wie immer von den allermeisten Fahrgästen am Hauptbahnhof verlassen wurde. Eine Zweiersitzbank in Fahrtrichtung mit einer gegenüberliegenden Zweierbank im vorderen Busbereich blieb allerdings belegt. Einer der Fahrgäste war eingeschlafen. Der aufmerksame Busfahrer hatte es schon bemerkt und versuchte den Fahrgast zu wecken – erfolglos. Durch kein Zureden, durch keine Zurufe und durch kein Rütteln wollte der junge Mann aufwachen. Kurz öffnete er zu einem Viertel oder Drittel ein Auge, um dann unbekümmert eine neue Schlafstellung zu suchen. Der Busfahrer war gezwungen, seine Fahrdienstleitung anzurufen, die ihn aufforderte, weiterzufahren und ihm versprach, die Polizei zu verständigen, die dann an einem bestimmten Punkt den Fahrgast in Gewahrsam nehmen würde. Während der weiteren Fahrt konnte ich dann noch den schlafenden Fahrgast beobachten: Es war faszinierend, mit welcher traumwandlerischer Sicherheit er sich auf der viel zu schmalen Sitzbank seine verschiedensten Schlafstellungen einnahm. Da führte nicht der Verstand, sondern die ganz kreatürliche Intelligenz Regie.
Ähnliches hatte ich nur einmal in einem Film des Komikerduos Stan Laurel/Oliver Hardy gesehen, vielen besser bekannt als „Dick und Doof“. Stanley Laurel spielte da einen völlig übermüdeten „Stan“, ebenfalls auf einer viel zu kleinen Sitz- bzw. Liegefläche. Aber mit großer Schauspielkunst gelang ihm das darzustellen, was der Fahrgast ebenfalls praktizierte: einen Menschen, der nicht mehr durch den Verstand des Tagesbewusstsein gehemmt ist. Im Falle des „Stan“ war es eben das Komische an der Filmrolle, einen Menschen darzustellen, der durch wenig verstandesmäßige Intelligenz auffiel, dabei sich daher aber einer eher kindlichen Intelligenz  überlassen konnte und damit oft für Situationskomik sorgte. Schlafen müssen auch wir Schlauen.

Nun, es kann kein Ziel sein, die Intelligenz des Verstandes zu vernachlässigen. Wir dürfen aber durchaus registrieren, dass in manchen Situationen der Verstand und das Denken nicht weiterhelfen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Einschlafen. Je mehr wir darüber nachdenken, wenn es einmal nicht einfach so geschieht, desto schwieriger kann es werden. Weil „Denken“ und „Grübeln“ Spannungen verstärken kann. Entspannung  kommt aus dem „Loslassen“ der Gedanken. Wir überlassen uns einem kreatürlichen Prozess. Und im Yoga üben wir das Loslassen   über das Vehikel der Konzentration auf ein Bild, ein Mantra, eine Übung oder eben den Atem. Daraus resultiert auch eine Drosselung der Gedankenaktivität bei gleichzeitiger Steigerung der Achtsamkeit. Auch das kann sehr beruhigend sein und heißt dann am Ende Meditation.
Das Bewusstsein des Menschen, schreibt schon Swami Vivekananda, arbeitet auf drei Ebenen des Bewusstseins: Instinkt, Verstand und so etwas wie Inspiration. Yogaübende üben den Umgang über den Atem und die Körperhaltungen auf allen drei Ebenen. Manchmal hat das Kreatürliche in uns Vorfahrt, manchmal der Verstand, aber manchmal auch die Ebene in uns, das Meditative, das über den Verstand hinauszeigt.

Savasana ist im Yoga eine der Grundhaltungen. Wörtlich übersetzt heißt es Leichenhaltung oder Totenstellung. Wir sollten den Wert dieser Übung nicht übersehen. Es ist eine Übung ganz für sich. Auch aus Yogasicht kann das richtige Liegen und die damit verbundene Entspannung eine Kunst sein.

 

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Yogathema 4. KW

Yoga, Rosa, Maya und ich bin dann mal weg

Den Aspekt Mensch, Farben und Yoga beim Yogathema der 3. KW 2013 will ich noch um den Aspekt der Farbe Rosa ergänzen. Seit einiger Zeit wird in schweizer Gefängnissen, z.B. in der Justivvollzugsanstalt Lenzburg, die Farbe Rosa mit Erfolg zur Beruhigung in Zellen eingesetzt, in die Insassen verlegt werden, die immer wieder zu aggressiven Verhalten neigen. Die Farbpsychologin Renate Späth Yoga und Rosa - eine Illustrationließ sich sogar ein sogenanntes „Cool Down Pink“ patentieren. (s. Till Hein, „Ein Kerker ganz in Rosa“, DIE ZEIT, Wissen, S.49, Nr. 48, 24.11.2013). Farben entfalten, wie bereits in der 3. KW ausgeführt, tief in unserem Unterbewusstsein eine durch das Tagesbewusstsein kaum zu kontrollierende Wirkung. Für den Menschen heißt das: Er kann auf viele verschiedene Wege, durch Körperhaltungen, Atemübungen, Imagination, Sport, Meditation, finanziellen Erfolg, aber eben auch durch geschickte Anordnung seiner Umgebung wie z.B. durch farbliche Gestaltung, sein Wohlbefinden beeinflussen und gestalten. Entspannung ist nicht unbedingt machbar. Aber man kann günstige Voraussetzungen dafür schaffen.
Yoga geht es aber um mehr. Sicher, Yoga kennt mit Hatha-Yoga, Yoga-Nidra, Pranayama, Stimmübungen und vielem mehr Möglichkeiten, Zugang zu innerer Ruhe finden und Entspannung anbahnen.

Betrachten wir einmal das Om-Zeichen als Sanskrit-Buchstabe: Wir erkennen drei geschwungene Linien. Eine nach oben, eine zur Seite und eine nach unten. Die Linie nach oben steht für das Tagesbewusstsein (vaisvanara=A),

die Linie nach unten steht für den Traumschlaf (taijasah=U), die Linie zur Seite steht für den Tiefschlaf (pragna=M, s. dazu auch Margret Distelbarth: Mandukyopanishad). Alle diese Bereiche (AUM) unseres Erlebens können wir versuchen, rosa einzufärben. Damit meine ich: Wir können versuchen, unser Leben angenehmer zugestalten. Das ist ganz bestimmt in Ordnung. Aber da gibt es noch den halbmondförmigen Kreis

OM im Yoga - in Devanageri
OM in Devanagari

oberhalb der drei Schwünge. Der versinnbildlicht den Schleier der Maya. Und oberhalb dieses Schleiers sehen wir einen Punkt. Der Punkt steht für unseren Geist, für unseren eigentlichen Ursprung. Und der eigentliche Ursprung des Menschen, sagen die alten Inder, ist etwas jenseits der anderen Bewusstseinszustände.
Alle weltlichen Bewusstseinszustände sind Teil von Maya, der Welt. Dem vierten Bewusstsein.

Yogaübung am Höhepunkt Meditation

Den vierten Zustand auch mit in das Bewusstsein zu erheben, sich also auf sein eigentliches Ich, seinen Ursprung zu besinnen, ist Teil der Yogaübung. Es geht darum, damit eine tiefe Ruhe zu erleben. Und das heißt, Pause von dem übrigen, manchmal wilden Geschehen um uns herum zu machen. D.h. ein Yogaübender erlebt die Übung an ihrem Höhepunkt als Meditation. Er/sie „ist dann mal weg“. Nämlich ganz bei sich, jenseits sinnlicher und körperlicher Gebundenheit, unberührt von allem. Das wäre Yoga auf dem Weg zu meditativer Vollendung. Aber keine Bange: Wir bleiben nicht verschwunden. So wie nach dem Schlaf das Aufwachen folgt, folgt nach einer tiefen Pause das Wiedereintauchen in die Welt. Wie schon der rosarote Panter sagte: „Heute ist nicht alle Tage – ich komm wieder, keine Frage“.

Im Ernst: Der Mensch ist aus Yoga-Sicht ein Zwitterwesen. D.h. er ist mit seinem Körper Teil der Welt. Gleichzeitig strebt sein Geist (oder: seine Seele) zur Freiheit. Weil wir erahnen, dass der eigentliche Kern unseres Menschseins von allem unberührt bleibt und nicht Teil der Natur ist. Für den Geist (oder die Seele) ist der Körper ein Fahrzeug. Aber Fahrzeug und Fahrgast sind nicht identisch.
Die westliche Wissenschaft sieht uns heute anders: Geist oder Bewusstsein wird von modernen Neurologen/Biologen als elektrische Emanation unserer Neuronen angesehen. Ein evolutionär entstandenes Produkt mit der Illusion eines eigenen Selbst, eines eingebildeten Ichs, das sich für ein eigenständig handelndes Wesen hält. In Wahrheit aber wäre es nichts Anderes als ein durch den Prozess der Auslese über Jahrtausende entstandenes, auch mittels Genen programmiertes und ganz passabel funktionierendes maschinenartiges Biowesen, dessen Funktionen, Gedanken und Handlungen allein durch Analyse seines Körpers, insbeondere seines Zentralen Nervensystems erklärt werden können.

Aus Yogasicht macht die Wissenschaft da die Rechnung ohne turiya. Sie macht die Rechnung ohne die Pause, ohne die Meditaion. Aus wissenschaftlicher Sicht und der meisten naturwissenschaftlichen Bewusstseinsforscher sind Meditation und Pausen aber auch erklärbar innerhalb der Funktionen des Zentralen Nervensystems. Bewusstsein könnte aus der Biologie heraus abgeleitet werden. Das ist der Unterschied. Yoga behauptet das Wesentliche in uns ist etwas jenseits des ZNS. Der große Teil der Wissenschaft sieht das anders. Vielleicht ist es einfach gut, die Frage immer wieder neu zu stellen und die Tür eigene Erfahrungen offen zu halten.

Bild 1 ist eine Illustration zur Wirkung der Farbe Rosa (rosaroter Panter, jung).
Bild 2 ist das OM als Sanskritzeichen in Rosa.

 

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Yogathema 3. KW 2013

Yoga missioniert nicht

Lassen Sie mich beim Thema Yoga und Nicht-Missionieren bei der Farbenlehre beginnen. Wie bedeutungsvoll Farbe sein kann, hat unlängst eine große Datenverarbeitungsfirma für amerikanische Gebrauchtwagenhändler herausgefunden. Autos mit den ungewöhnlichsten Farben erwiesen sich als am haltbarsten. Nicht Kilometerstand und Fabrikat, sondern die ungewöhnliche Farbe erwies sich als zuverlässigtes Kriterium (s. Die Zeit, 3.1.2013, Nr.2, „Wer hebt das Datengold“). Farbe scheint tief in unserem Unterbewusstsein eine große Rolle zu spielen. Es gibt eine Farbe, die im Yoga traditionell von den Lehrern bevorzugt wird. Selvarajan Yesudian trat immer in Weiß auf und viele andere indische Yogalehrer taten es ihm gleich. Weiß ist eine neutrale Farbe. Und Weiß ist eine leise Farbe, so kurios das klingen mag. Dieter H. Lamparter berichtet in einem Beitrag für die Zeitschrift die ZEIT vom 29.11.2012, dass bei gleicher Geschwindigkeit und gleichem Fabrikat die Vorbeifahrt eines Autos als besonders leise empfunden wurde, wenn es weiß lackiert war. Rote und schwarze Autos wurden dagegen sehr viel lauter empfunden. Überträgt man das auf den geistigen Bereich, so kann man sagen: Die Farbe Weiß will nicht indoktrinieren. Sie will auch nur denen etwas mitteilen, die zuhören wollen. Weiß gibt alle Farben unverändert zurück, sie behält nichts und sie verändert nicht.

Das kann man durchaus auch so verstehen: alle Menschen sollten in ihrer Persönlichkeit so bleiben, wie sie sind. Da soll niemand etwas fremdes übernehmen von einem äußeren Lehrer. Schon gar nicht sollen aus Europäern kleine Inder geformt werden. Jeder soll seine Individualität leben. Es geht im Yoga um etwas Anderes.
Vielleicht hilft diese Überlegung bei der Frage, worum es im Yoga geht: Am ähnlichsten sind sich Menschen, wenn sie schlafen. Ganz besonders im Tiefschlaf ist das so, egal, aus welcher Kultur wir stammen, ob aus Afrika oder Indien oder China oder Europa. Und das gleiche gilt auch für eine tief wirkenden Entspannung und der daraus resultierenden Ruhe am Tag. Wenn wir ganz zur Ruhe kommen, wenn wir eine tiefe Pause erleben, sind wir uns alle gleich. Die Yoga-Definition heißt: Yogas citta vrtti nirodha. Mein Yogalehrer Rudolf Fuchs hat das pragmatisch gelegentlich so wiedergegeben: Yoga ist die Kunst der Pause. Und jeder Mensch sollte mal Pause machen, sollte abschalten, innehalten und Kräfte neu sammeln. Und der beste Name für dieses Innehalten ist Meditation.

Und wir können Christ sein, Buddhist, Moslem, Hindu, Kapitalist, Monarchist, Demokrat, Kommunist oder Spartakist: Innehalten, Pause machen, das tun wir alle. Alle meditieren und sind sich darin gleich. Wie beim Tiefschlaf.

Und der Weg in die Pause, in das Abschalten, in das Innehalten, den kann man Yoga nennen. Yoga ist daher weltanschaulich neutral, so neutral wie Tiefschlaf. Und in jedem von uns wächst gelegentlich die Sehnsucht nach einer tiefen Ruhe. Da muss niemand von außen gezwungen werden. Denn es ist aus Yogasicht ein Naturgesetz, das wir alle wieder den Weg in unsere eigenen Mitte suchen. Und jeder findet für sich dafür den geeigneten Weg.
Swami Vivekananda drückte es einmal so aus: „Jeder Versuch einer Beherrschung, die nicht freiwillig, nicht aus eigener Geisteskraft des Beherrschenden geschieht, ist nicht nur unheilvoll, sondern macht auch das schließliche Ergebnis zunichte.“ Swami Vivekananda, Râja-Yoga S.73, Bauer-Verlag. Jede Form von Zwang und Gewalt, selbst mit den besten Absichten, führt in die Irre.

Yogins missionieren deshalb nicht, und die Farbe Weiß signalisiert das in der Unterrichtsstunde gelegentlich nach außen. Außerhalb der Übungssituation wird dann ein Inder wieder ein Inder, ein Europäer wieder Europäer. Wie nach dem Aufwachen eben jeder Mensch seine Individualität lebt oder wahrscheinlich sogar leben muss. Denn wir sind alle Unikate, aber wir haben einen gemeinsamen Kern.

 

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Yogathema für Yogawoche Königssee – Das Märchen vom Fischer und seiner Frau

Märchen aus Yogasicht zu beschreiben ist reizvoll, denn wie der Yoga arbeiten Märchen mit Archetypen des Menschen und bauen daraus eine Erzählung. Der Yoga arbeitet solche Archetypen wie den König, die Schlange oder den Löwen oder auch den Frosch in die Übungen ein. Wir benötigen starke Symbole und/oder Haltungen, um uns aus dem Alltag zu lösen und das Wesentliche unserer Existenz zu erkennen, oder besser noch: unmittelbar zu erfahren.

Yoga-Woche Arkonafahrt
Yoga-Woche Rügen

Die meisten von Ihnen kennen das Märchen vom Fischer und seiner Frau (Werbung). Die einfache und etwas banale Aussage des Märchens könnte man sich so zusammenreimen: Bleib hübsch bescheiden in deinem Leben, greif nicht nach den Sternen, lebe in Demut, dann geht es dir gut. Dann hast du wenigstens eine Hütte. Als kleiner Junge identifizierte ich mich immer mit dem Mann. Der war Getriebener, seiner unduldsamen, ehrgeizigen Gattin schutzlos ausgeliefert. Man könnte sagen, er war nicht sehr willensstark. Aber eine gewisse Gutmütigkeit konnte man ihm vielleicht nicht absprechen. Für die Mädchen unter den Zuhörern muss diese Interpretation noch einmal unangenehmer sein.

Ärgerlich für den Zuhörer war ja vor allem, dass es scheinbar so einfach gewesen wäre, einmal Stopp zu sagen, und dann hätten Frau und Mann in Saus und Braus als König, Kaiser, Papst, oder, mit etwas Bescheidenheit, wenigstens als Fürst leben können. Das Märchen erscheint als Mahnung zur Bescheidenheit, eine Erinnerung an allzu ehrgeizige Frauen und Männer, Hoffart und Karrieresucht doch bitte schön im Rahmen zu halten.

Das ist vielleicht für Kinder eine Erklärung, hat aber so keine Tiefe. Das ist viel zu banal. Märchen beleuchten Hintergründe unserer Existenz und stoßen dabei in andere Welten und Räume vor.

Das Spiel, das hier beschrieben wird, setzt viel tiefer an. Es ist die Darstellung

Yoga-Woche Rügen Kreidefels
Yoga-Woche Rügen

des alten Weltenspiels der Seele und ihrer Verstrickung in der Welt. Purusa – Prakrti heißt das Spiel in der indischen Mythologie. Der Mensch, der Purusa, wird von der Welt, der Prakrti, oftmals dargestellt durch eine schöne Frau und ihren verführerischen Tanz, aus seinem sicheren Leben herausgelockt. Mensch kann hier weiblich oder männlich sein, eine Frau oder ein Mann. In bildlichen Darstellungen der alten Inder ist die Seele männlich, als Gegenpol zum weltlichen Anteil unseres Wesens. Der weltliche Anteil unseres Wesens und die süßen Verlockungen alles Irdischen gelten demgegenüber als weiblich. Schön veranschaulicht wird das im Schachspiel, das ja seine Ursprünge auch in Indien hat. Der König ist die männliche Hauptfigur, Stellvertreter des eigentlichen Spielers, der am Schachbrett sitzt. Er ist relativ unbeweglich, ohne ihn geht aber nichts. Die Dame ist die weibliche Hauptfigur, die mächtigste Figur im Spiel, höchster und wichtigster Offizier, aber ohne König wertlos. Der eigentliche Spieler ist auf dem Brett nicht zu sehen, er identifiziert sich aber mit seinen Figuren, und ist doch nicht Teil des Spiels. Eigentlich ist der Purusa weder männlich noch weiblich, die Seele ist neutral. Aber in der Welt, auf dem Schachbrett, gibt es die Polaritäten, dargestellt durch die Figuren. (Auch in der griechischen Mythologie wird das Prinzip Erde, Gaya, durch eine weibliche Gottheit verkörpert). Trotzdem ist das eigentliche im Menschen, der Geist, ein Neutrum, das aber oft als männlicher Mitspieler, weil weniger mit der Erde verbunden angesehen, auftritt.

Prakrti

In der indischen Weltentstehungslehre des Samkhya entsteht erst durch die Hinwendung zur Prakrti die Welt. Aber je mehr es der Prakrti gelingt, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, desto wilder und unübersichtlicher wird das Weltengeschehen, desto mehr verliert die Seele die Erinnerung an ihr eigentliches Sein. Im Märchen scheint es eine Zeit zu geben, in der Frau und Mann vielleicht arm, aber unaufgeregt ihr einfaches Leben haben. Aber damit gibt sich auf Dauer keine Seele zufrieden. Denn der Ausgangszustand der Hütte entspricht nicht dem eigentlichen Ziel des Menschen: Seine spirituelle, wenn Sie so wollen übernatürliche oder göttliche Natur erkennen. Zunächst richten sich aber die Begierden und Wünsche auf Erfüllung durch äußeren Reichtum. Die Hütte ist nicht genug, weder für Frau noch für Mann. Die Frau gibt der Welt nur ihre Stimme, sie münzt das Verführerische der Welt in konkrete Begrifflichkeit. Aber es geht nicht darum, zu sagen, Frauen sind so und Männer hören ihnen dummerweise zu. Es ist die Seele eines jeden Menschen, Mann oder Frau, die zunächst einmal in äußerem Erfolg Verwirklichung und Selbsterfüllung sucht.

Und sehr schnell wird klar: ein schönes großes Haus genügt nicht, das wird schnell langweilig. Der Purusa in uns, unser eigentliches Ich, lässt sich dadurch nicht auf Dauer blenden und ruhig stellen. Um die Unzufriedenheit mit dem Stillstand zu beruhigen, müssen die Genüsse verfeinert, müssen die Errungenschaften und der äußere Glanz gesteigert werden. Dadurch bekommt das Spiel eine neue Dynamik, denn die Phasen der Zufriedenheit verkürzen sich. Immer weniger lässt sich die Seele mit der Sehnsucht nach tiefer innerer Glückseligkeit mit äußerem Tand abspeisen. Selbst das Kaiser- und Papsttum verschaffen nur kurze Momente der Ruhe.

Die See im Märchen, als symbolische Veranschaulichung der ganzen Welt, wird immer stürmischer. Aber schließlich will die Seele zum letzten Ziel vorstoßen. Sie will werden wie Gott. Und da sitzen Mann und Frau plötzlich wieder in der Hütte. Ätsch, könnte man sagen. Aber das ist nicht die Aussage, die den Sinn des Märchens ausdrückt. Nach den vorangegangenen Irrtümern, nach dem vergeblichen Streben nach äußerem Glück kann der Purusa jetzt endlich beginnen, zu sich selbst zu kommen, sich auf seinen geistigen Ursprung besinnen. Und das kann er erst, wenn er wieder in der Hütte sitzt. Anders gesagt, jetzt erst kann er damit beginnen, denn ohne die vorherige Erfahrung der Selbsttäuschung würde er sich auf diesen Weg nicht einlassen. Bescheidenheit hätte ihn nicht weiter gebracht. Die Seele ist von Natur aus unbescheiden, sie ist nur mit höchstem Glück, Selbsterkenntnis oder Selbstfindung, zufrieden. Die Verwechslung der Sehnsucht nach Glück mit äußerem Reichtum ist unvermeidlich, es ist Teil des Spiels. Erst wenn wir die Vergeblichkeit solcher Bemühungen erkennen, lassen wir uns auf den Weg zum Eigentlichen ein.

Das erste Bild zeigt die Yoga-Crew der Yogawoche Rügen 2012 auf einem ehemaligen Fischkutter.
Das zweite Bild zeigt die Kreidefelsen von Rügen

 

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Yogathema 2. KW 2013

Entschleunigung und Yoga

Stuttgart im Januar 2012

Was Ruhe und Entschleunigung angeht, so sieht uns die Zeitschrift „DIE ZEIT“ auf einem guten Weg. Sie berichtet u.a. über den Physiker und Reibungsforscher Peter Hänggi. Diesem zufolge verlangsamt sich die Erdumdrehung eines Tages durch die Reibungsenergie des Gezeitenspiels von Erde, Mond und Weltmeeren pro Jahr um 12 Microsekunden. Demzufolge verlängert sich ein Erdentag in den nächsten 600 Millionen Jahren auf 26 Stunden. Die neuen ICX-Züge der Deutsche Bahn werden nur noch 249 km/h Spitzengeschwindigkeit erreichen, dafür im Fahrplan aber mehr Zeitpuffer erhalten und pünktlicher sein.  Und der österreichische Künstler Hans Langeder konstruierte für Ferrari ein Auto mit Tandem-Fahrradbetrieb, das Fahrradi Farfalla FFX. Es scheint wirklich so zu sein, dass es eine Sehnsucht nach Ruhe und Verlangsamung gibt, nachdem wir uns bzw. die Wissenschaft und der Fortschritt  sich v.a. um Beschleunigung in den letzten Jahrhunderten bemüht hatten. (DIE ZEIT/Wissen vom 6.12.2012, „Einladung zur Langsamkeit“ + „Das Universum bremst nicht)

Yoga Methode der Gegenströmung (pratiprasava)
Yoga ist natürlich schon immer eine Methode und ein Weg gewesen, dem höher,

Yoga-Woche Unterricht
Yoga-Woche Königssee Übungsraum

weiter und schneller zu entkommen. Yoga sagt: Es gibt Zeiten des Bemühens und es gibt Zeiten des Nichtbemühens. Es gibt Augenblicke, in denen wir uns fordern, oder eben Anforderungen durch Familie, Beruf, Umwelt oder sonstige äußere Umstände an uns gestellt werden. Und es sollte Augenblicke geben, in denen wir uns davon ganz zurückziehen dürfen. Ich kenne keinen Menschen, der nicht gelegentlich davon spricht, auch einmal abschalten zu wollen. Und genau darum geht es im Yoga: Um das Abschalten. Nichts anderes praktizieren die Yogins seit Tausenden von Jahren. Nur haben sie das Abschalten eben in kunstvoller Weise zur höchsten Vollendung gebracht. Man nennt es dann Meditation, oder besser noch: dhyana. Aber es handelt sich dabei um nichts anderes als dieses von vielen herbeigesehnte und oftmals aus Unkenntnis nicht ganz gelungene Abschalten. Im Yoga lernen wir wieder, wie das geht. Das Problem ist: Unser Intellekt kann es nicht. Unser Denkorgan mit all seiner Bildung und Intelligenz  ist dazu nicht in der Lage. Aber es gibt eine Instanz in uns, die kennt den Weg dorthin: Unser Atem. Und der Umgang mit dem Atem, der in die Ruhe führt, den nennen wir Pranayama. Und um Pranayama zu erleben, dafür nehmen wir im Yoga Haltungen ein: Asanas. Und wenn wir das alles in eine Übungsstunde fassen, dann ist das Hatha-Yoga in Anbindung an den übergeordneten Raja-Yoga. Es sind ganz einfache Dinge, die wir mit Yoga wieder lernen. Sie sind einfach, aber unser Denken ist noch kompliziert. Deshalb sollten wir das Einfache wieder einüben. Eine Möglichkeit dafür ist Yoga.

 

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Frage nach Ashtanga

Folgende Frage wurde mir nicht zum ersten Mal letzte Woche (49/2012) gestellt:

Guten Tag, Sie beschreiben Ashtanga-Yoga auf Ihrer Webseite, ich kann aber keine Kurszeiten dazu finden. Bieten Sie diese Yoga-Form auch an?

Der Begriff „ashtanga“ bezieht sich in der ursprünglichen Bedeutung auf den Raja-Yoga und meint das Üben der Acht Glieder (= Ashtanga), nämlich: Yama-Niyama-Asana-Pranayama-Pratyahara-Dharana-Samadhi.
 Hierzulande und außerhalb von Klöstern geschieht dann der Einstieg in Asana, also durch das Einnehmen der bekannten Körperhaltungen. In dem Fall sind die Asanas kein Selbstzweck, sondern das Eingangstor in und Vorbereitung für die Meditation. Damit beginnt der Ashtanga-Yoga bei mir mit Hatha-Yoga zu den genannten Übungszeiten.
Ashtanga wird dann hierzulande, im Westen, auch manchmal als besondere Übungsform in aufgeheizten Räumen und mit extremer körperlicher Anstrengung angeboten. Manchmal assoziiert man damit sogenannte dynamische Formen des Yoga (z.B. sogenannter Power-Yoga), die oftmals auf die Tradition von Krisnamacaria zurückgeführt werden.

Ich nutze den Begriff aber weiterhin in der oben beschriebenen Weise, wie er vor 2500 Jahren in den berühmten Yogasutras des Patanjali verwendet wurde.
Wenn Sie dann bei mir keine besonderen Zeiten für Ashtanga finden, liegt das einfach in der Natur der Sache.

Ich hoffe aber, Ihnen mit meiner Klarstellung weitergeholfen zu haben und wünsche viel Erfolg bei der Suche nach der von Ihnen gewünschten Übungsform.

s. dazu Rudolf Fuchs: Acht Stufen – Ein Weg: Die Yogasutras des Patanjali. Teil 1 Raja Verlag